Rosalind

Die am 1. September 2014 geborene Schweinemutter wurde bereits im Alter von sechs Monaten zum ersten Mal besamt, dann für drei Tage im Kastenstand eingesperrt, um die Trächtigkeit sicherzustellen.

Anschließend durfte sie bis eine Woche vor der Geburt ihrer Ferkel frei auf den Betonspaltenbodengängen zwischen den Schlafbuchten aus Metall herumlaufen. Stroh sucht man auf dem Hof in Norddeutschland, der als Vorzeigebetrieb gilt, vergeblich. Und der Platz zwischen den Kastenständen war viel zu knapp, als dass sich alle 42 Sauen in Rosalinds Gruppe gleichzeitig dort hätten bewegen können. Deshalb lag Rosalind meistens nur apathisch in ihrem Kastenstand. Begegneten sich doch Sauen auf dem Gang, wurden sie aggressiv. Kein Wunder, denn in dem Betrieb fristen insgesamt fast 350 Zuchtsauen ihr Dasein, auf zwei Räume verteilt in sieben Gruppen von je 42 Tieren. Ständig gibt es im Stall ein „Kettenkonzert“ – die Sauen kauten auf Eisenketten herum, die das einzige Beschäftigungsmaterial darstellten.

Nach drei Monaten, drei Wochen und drei Tagen brachte Rosalind etwa 16 Ferkel zur Welt. Eine Woche vor dem Geburtstermin wurde sie im Ferkelkorb (auch eiserne Jungfrau genannt) eingesperrt. Darin konnte sie nur stehen oder liegen, sich zu drehen war unmöglich. Die massive Bewegungseinschränkung sollte dafür sorgen, dass Rosalind nicht von ihren Ferkeln welche mit ihrem schweren Körper erdrückte. Es passierte aber trotzdem. Im Alter von drei Tagen wurden Rosalind ihre Kinder zum ersten Mal weggenommen. Sie musste im Ferkelkorb eingesperrt mit ansehen, wie ihre männlichen Kinder kastriert und allen ihren Kindern die Schwänze kupiert wurden. Unglaublicher Stress für Rosalind und ihre Kleinen. Ihre Söhne wurden für die Kastration zwar mit einem Gas (Isofluran) betäubt, aber sie fürchteten sich davor, ihren Kopf in den Trichter zu stecken, so dass einige die Kastration hellwach erlebten.

Und anschließend kreischten sie vor Schmerzen und fanden nicht in den Schlaf, auch als sie längst wieder bei Rosalind im Ferkelkorb waren. Rosalind schaffte es nicht, sie zu beruhigen, schlimm für eine Schweinemama. Die Ferkel blieben vier Wochen lang bei Rosalind, insgesamt war sie also fünf Wochen lang in dem Ferkelkorb eingesperrt. Konnte sich um ihre Kinder nicht richtig kümmern, weil sie sich ja nicht umdrehen konnte. Als nach 35 Tagen die eiserne Jungfrau aufgemacht wurde, stand Rosalind und mit ihr noch 41 Muttersauen auf und sie durfte endlich wieder laufen, aber -unsicher auf den Beinen- grätschten viele von ihnen erstmal aus. Rosalind wankte zurück in den Gruppenbereich. Erst als die Tür hinter ihnen zufiel, realisierten sie und die anderen 41 Muttersauen, dass ihre Ferkel nicht mehr da waren. Es ertönte panisches Geschrei von 42 Schweinemüttern mit schreckgeweiteten Augen. Rosalinds Euter war noch prall mit Milch gefüllt, die ihre Ferkel nun nicht mehr trinken durften. Milchstau tut furchtbar weh, aber Medikamente bekam Rosalind nicht.

Stattdessen wurden sie und die 41 anderen Sauen sofort mit einem aus dem Urin trächtiger Pferdestuten gewonnenen Hormon gespritzt, dadurch setzte nach kurzer Zeit bei allen gleichzeitig die Rausche wieder ein und gleich darauf wurden sie wieder besamt. Ein schrecklicher Kreislauf, den die Schweinemama mindestens zweimal im Jahr erdulden musste. Rosalind sechs Jahre lang, bis sie nicht mehr genügend lebende Ferkel zur Welt brachte, um „rentabel“ zu sein. Sie wurde aussortiert für den Schlachthof. Wäre in einem Käfig aus dicken Eisenrohren heruntergefahren worden in einen Schacht, in den dann CO2 strömt. Bis zu fünf Minuten dauert es, bis die Schweine nach Panikattacken und Erstickungsanfällen endlich durch Bewusstlosigkeit erlöst werden. Rosalind hatte Glück – weil sie im Juli 2021 sieben Jahre alt und damit das älteste Schwein im Betrieb war, wollte eine Tierschützerin Rosalind unbedingt vor diesem entsetzlichen Tod bewahren.

Allerdings litt Rosalind unter dem ansteckenden Strahlenpilz und so waren ihre Vermittlungschancen leider fast gleich Null. Sie war aber von der Tierschützerin, die aufopferungsvoll in dem Betrieb versucht, für möglichst viele ausgediente Schweinemütter Lebensplätze zu finden, umsichtig separiert worden. Zusammen mit der Sau Nuria, die auch unter Strahlenpilz litt.

Beide bewohnen nun seit Juli 2021 in unserer Pflegestelle Erflinghausen zusammen eine Box und sie wurden sofort mit Antibiotikum (Amoxicillin) und Tarantula (Spinnengift) behandelt. Inzwischen ist der Strahlenpilz ausgeheilt.

Rosalind lebt in Meschede

(in Nordrhein-Westfalen)

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